Was sind Bedürfnisse eigentlich? Was bedeutet bedürfnisorientierte Erziehung? Welche Bedürfnisse haben unsere Kinder und warum es uns hilft hinter das Verhalten zu schauen.
Grundlagen der gewaltfreien Kommunikation und Bedürfnispyramide
Die Gfk (gewaltfreie Kommunikation) geht davon aus, dass wir Menschen uns mit jedem Handeln ein Bedürfnis erfüllen wollen. Wenn Bedürfnisse unerfüllt sind kann das zu negativem oder gar aggressivem Verhalten führen. Auch das ist Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.
Abraham Maslow hat mit seinen Forschungen die Grundlage für das Bewusstsein von Bedürfnissen gelegt. Laut seiner Bedürfnispyramide sehen alle menschlichen Bedürfnisse gleich aus.
Bei Kindern gehen wir von noch einer weiteren Ebene aus: Das Bedürfnis nach Spiel, Anregung, Lernen, Erfahren, Erleben.
Es gibt auch Kritik an diesem Model und Maslow selbst hat wohl im Laufe der Jahre auch noch mal seine Thesen korrigiert.
Die Pyramide wird klassisch von unten nach oben gelesen. Die Bedürfniserfüllung kann aber auch von oben nach unten gesehen werden, beziehungsweise ist es vielmehr ein Wechsel der Ebene. Es gibt durchaus Menschen, die komplett in der Selbstverwirklichung aufgehen und darüber komplett die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse vergessen.
Wie hilft uns das Wissen nun beim Umgang mit unseren Kindern?
Zu Wissen, dass hinter jedem Verhalten ein Bedürfnis steckt hilft uns im Umgang mit unseren Kindern enorm. Wir können so eine andere Sicht auf die Situation gewinnen. Das nörgelige Kind ist dann nicht einfach nur zickig, sondern einfach nur müde.
Mein Kind handelt für sich, nicht gegen mich.
Einer meiner Lieblingssätze, den ich gerne mal in anstrengenden Situationen im Stillen für mich wiederhole. Ein super Mantra! Eigentlich sollte dieser Leitsatz in jeder Familie am Kühlschrank hängen.
Hilft uns übrigens auch gelassener mit unseren großen Mitmenschen zu sein. Wenn wir wissen, dass das gegenüber für sich handelt und nicht gegen mich.
Anstrengendes, nervendes oder gar aggressives Verhalten sollte für uns also immer ein Warnsignal sein, dass es dem Kind gerade nicht gut geht. Das ihm etwas fehlt. Statt das Kind dann zu strafen oder zu ignorieren sollten wir vielmehr auf Augenhöhe gehen und fragen was es braucht.
Die Fähigkeit, die Erfüllung von Bedürfnissen aufzuschieben, nimmt mit zunehmendem Alter zu.
Unsere Säuglinge sind auf die zügige Bedürfniserfüllung angewiesen. Dein einjähriges Kind hingehen kann schon mal ein paar Minuten warten bis das Essen fertig ist. Je nach Charakter wächst diese Fähigkeit und wir Eltern müssen nicht mehr prompt zur Verfügung stehen.
Erwachsene können Bedürfnisse auch für längere Zeit hintenanstellen und gerade in den ersten Monaten / Jahren mit Säuglingen und Kleinkindern müssen wir das sogar. Allerdings gerade die Erfüllung der Grundbedürfnisse sind wichtig und sind diese zu lange nicht gestillt, entsteht ein Ungleichgewicht.
Die Bedürfnispyramide ist nicht zwingend aufsteigend zu verstehen. Dennoch sind unsere lebenswichtigen Grundbedürfnisse in der Erfüllungen am wichtigsten.
Sprich wenn wir bzw unsere Kinder satt und ausgeschlafen sind, ist das schon mal die halbe Miete!
Kennt ihr sicher alle, wenn nur eines dieser Bedürfnisse vernachlässigt wird, ist die Laune nicht so berauschend. Auch hier hängt das sicher wieder vom Charakter ab. Bei uns zu Hause, wohnt unter anderem ein gefühlsstarkes Kind – für ihn ist es besonders schlimm hungrig zu sein und im Interesse aller versuchen wir Hunger weitestgehend zu vermeiden. Snackteller und Essen immer in Reichweit zu haben, hilft dabei enorm.
Bedürfnisorientierte Erziehung
Der Wandel hin zur Bedürfnisorientierung hat im Bereich der Kindererziehung zum Glück sehr zu genommen. Immer mehr Eltern beschäftigen sich damit und beschreiten einen neuen Weg.
Bei der bedürfnisorientierten Erziehung sollten jedoch immer ALLE Bedürfnisse einer Familie gleichermaßen im Mittelpunkt stehen.
Also die Bedürfnisse von Mama und Papa zählen genauso wie die vom Kind. Jetzt sind Säuglinge allerdings auf die prompte Erfüllung von Bedürfnissen angewiesen. Sprich wir Erwachsenen nehmen uns zunächst zurück. Je größer die Kinder werden umso mehr gerät die Wichtigkeit der Bedürfnisse wieder ins Gleichgewicht.
Wie erfüllen wir nun Bedürfnisse
Zur Bedürfniserfüllung wählen wir eine Strategie. Welche das ist, ist unterschiedlich.
Ich finde am schönsten, lässt sich das am Stillen erklären. Stillen ist nämlich erstmal nur eine Strategie zur Bedürfniserfüllung. Hunger/ Durst/ Körperkontakt/ Nähe/ Geborgenheit. Das alles sind Bedürfnisse die durchs Stillen erfüllt werden können. Können sie aber auch anders. Durst und Hunger geht auch mit der Flasche zu erfüllen. Kuscheln, Nähe, Geborgenheit geht auch beim gleichzeitigen Kuscheln während dem Flasche füttern oder durch das Tragen am Körper.
Ihr seht also, es gibt nicht nur eine Strategie zur Bedürfniserfüllung. Deswegen ist Stillen auch nicht automatisch bedürfnisorientiert bzw. nicht zu Stillen ist es nicht.
Zur Bedürfniserfüllung gehört mehr als ein bestimmter Weg. In erster Linie braucht es einfühlsame Erwachsene die (bei Säuglingen) prompt reagieren. Bei Kleinkindern ist es (wenn die prompte Erfüllung nicht möglich ist) wichtig in Kontakt zu sein. „Ich sehe dich, du hast Hunger / brauchst Ruhe / möchtest schlafen. Gibt mir noch einen Moment, ich bin gleich soweit.“
Die Angst vorm verwöhnten Kind
Unerfüllte Bedürfnisse verschwinden nicht. Sie tauchen wieder auf, an andere Stelle oder zeigen sich eben in aggressivem Verhalten.
Unerfüllte Bedürfnisse verschwinden nicht!
Die Angst vorm verwöhnten Kind ist also ziemlich unbegründet. Wir können unsere Kinder gar nicht verwöhnen in dem wir auf ihre Bedürfnisse eingehen. Kinder die erleben, dass sie gesehen und in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden, werden ziemlich sicher eher zu empathischen und mitfühlenden Erwachsenen, als zu Tyrannen.
Denkt doch mal an Pippi Langstrumpf. Pippi ist so gesättigt, sie ist so in sich ruhend, dass sie die Boshaftigkeit der beiden Polizisten einfach weglächelt mit einem „Ach, die armem wurden als Kind bestimmt nicht genug geliebt“!
Wunsch oder Bedürfnis
Haben wir ein unerfülltes Bedürfnis wählen wir – bewusst oder unbewusst – eine Strategie. Welche das ist, ist unterschiedlich. Wir können eine gute Strategie wählen oder eine weniger gute. Strategien können wir lernen und noch besser, wir können sie mit unseren Kindern üben. Es gibt viele Strategien um uns ein und dasselbe Bedürfnis zu erfüllen.
Im Prinzip ist ein Wunsch nichts anderes als eine Strategie zur Bedürfniserfüllung. Wenn wir als mit einem Wunsch unseres Kindes nicht einverstanden sind, können wir versuchen das Bedürfnis dahinter zu erkennen und andere Strategien vorzuschlagen.
Oft können unsere Kinder ihre Bedürfnisse noch nicht konkret benennen. (Erwachsene übrigens auch nicht zwangsläufig).
Dein Kind wünscht sich ein bestimmtes Spielzeug. Ein Wunsch, den du vielleicht aktuell aus guten Gründen gerade nicht erfüllen willst (oder kannst).
Du kannst aber herausfinden um was es deinem Kind geht. Ist es Zugehörigkeit, weil dieses Spielzeug auch alle Freunde haben? Oder Anregung, weil das Spielzeug was ganz Bestimmtes kann. Kennen wir das Bedürfnis können wir andere Strategien wählen, die das Bedürfnis befriedigen und gleichzeitig für alle Beteiligten in Ordnung sind.
Zu wissen, das es unterschiedliche Strategien gibt und diese sich ändern können finde ich, nimmt der ganzen Bedürfnisorientierung ein wenig den Schrecken. Bedürfnisorientierte Erziehung ist eben keine Anleitung oder Einbahnstraße.
Auch hier gilt wieder für jede Familie ist etwas anderes richtig.
Fällt es dir leicht zwischen Bedürfnis und Wunsch zu unterscheiden? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen!
Höre dir zu dem Thema auch gerne meinen Podcast an. In Folge #7 habe ich ausführlich über bedürfnisorientierte Erziehung gesprochen.
Alles wird gut
Ines
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